„Wo kommt mein Blackout oder die unerklärliche Angst vor einer bestimmten Sache eigentlich her?“ Der Myostatik-Test oder O-Ring-Test hilft mir im Coaching dabei, herauszufinden, wo genau den Stress, der eine bestimmte negative Reaktion (z. B. ein Blackout oder eine Angstattacke) hervorruft, tatsächlich herkommt.
Alle Sinneseindrücke werden im Gehirn erst einmal durchs limbische System zur emotionalen Prüfung „geschickt“. Das kann man im MRT beobachten, also wenn man „in der Röhre“ liegt. Wenn eine Aussage durch unser Ohr zu unserem limbischen System gelangt und dort Stress verursacht, lässt für einen Bruchteil von Sekunden unsere Muskelspannung nach. Das heißt nicht, dass wir direkt vom Stuhl fallen. Es handelt sich nur um einen winzigen Moment. Und wenn man eine bestimmte Körperhaltung einnimmt, kann man ihn körperlich nachweisen.
Dazu formt man mit der Hand (genauer mit einem Finger und dem Daumen) einen Ring.
Die Hand ist im Gehirn mit sehr vielen Gehirnzellen verbunden. Das bedeutet, dass die Hand im Gehirn vergleichsweise hoch „repräsentiert“ ist. Viel stärker, als z. B. die Wade. Unsere Hand ist sehr sensibel, beweglich und wir können vieles damit machen. Andere Zonen, die vergleichsweise viele ihnen entsprechende Gehirnzellen haben, sind die Lippen, die Nase und die Geschlechtsorgane. Kleine Anmerkung: Diese Repräsentation im Gehirn wird durch den „Homunculus“ dargestellt, ein Männchen mit den entsprechenden (ungewöhnlich aussehenden) Proportionen.
Wenn man nun mit den Händen eine etwas kompliziertere Form bildet – also eine besondere Muskelspannung aufrecht erhält – ist diese Hand sehr empfindlich für kleine Veränderungen.
Der Coachee formt mit dem Daumen und einem beliebigen anderen Finger einen Kreis und hält diesen fest zusammen. Wenn er entspannt ist, kann er den Ring so fest zusammenhalten, dass es sich für mich anfühlt, als sei er mit Sekundenkleber zusammengeklebt – ich bekomme ihn schlichtweg nicht auf.
Der Coachee formt also den Ring, ich sage etwas und versuche dabei, den Ring auseinanderzuziehen. Je nachdem ob ich etwas Stressendes oder etwas Harmloses sage, geht dieser Ring auf oder eben nicht.
Um eine Bandbreite zu haben, ermittele ich zuerst etwas, was sich „sicherer Ort“ nennt. Ich frage meinen Coachee: „An welchem Ort in der Welt fühlen Sie sich sicher, geborgen, zuhause?“ Die Antwort kann ganz unterschiedlich sein: Im eigenen Bett, im Haus der Eltern, im Auto, am Karibikstrand, in der Küche der Oma… Bei mir persönlich ist es die Sofaecke im Wohnzimmer.
Dann bitte ich den Coachee, an diesen sicheren Ort zu denken. Die Folge: der Fingerring lässt sich nicht auseinanderziehen. Wenn ich als nächstes sage: „Jetzt denken Sie doch mal an die Klausur in Statistik 2“ (durch die der Coachee durchgefallen ist), dann kann ich den Ring in der Regel ganz leicht aufziehen. Der Gedanke verursacht Stress.
Dabei muss ich sehr schnell sein. Das limbische System empfindet eine „Schreck-Millisekunde“ und die Muskelspannung lässt für einen kleinen Moment nach. Wenn der Test richtig durchgeführt wurde, hat man nun einen konkreten Punkt, an dem man im Coaching ansetzen kann.
Um die stressverursachende Emotion zu verarbeiten, wende ich meistens die wingwave-Methode an. Dabei bitte ich den Coachee an die unangenehme Situation zu denken. Anschließen bringe ich ihn oder sie mit festgelegten Fingerbewegungen („winken“) dazu, Rechts-Links-Augenbewegungen auszuführen, wie sie sonst nur im Tiefschlaf auftreten. Man geht davon aus, dass dadurch das limbische System stimuliert wird und festsitzende Emotionen verarbeitet werden können.
Wie funktioniert eigentlich wingwave? Das erkläre ich hier!
Nun kann man natürlich denken „Der O-Ring-Test lässt sich wunderbar fälschen“ – mal zieht der Coach mehr, mal weniger. Wissenschaftlich auf seine Wirkung untersucht wurde die Wirkung von Emotionen auf die Muskelspannung von Dr. Marco Rathschlag im Rahmen seiner Doktorarbeit. Dabei verwendete er bei einem Myostatik-Test im Labor immer die gleiche Zugkraft. Das Ergebnis war eindeutig: mal ging der Ring auf und mal nicht. Die genaue Wirkweise des Testes ist aber immer noch nicht im Einzelnen erforscht.
Funktioniert der O-Ring-Test bei jedem?
Da ich pragmatisch veranlagt bin, setze ich diesen Test ein, probiere aber vorher an repräsentativen Aussagen aus, ob das Ganze bei meinem Coachee funktioniert. Falls nicht (was sehr selten vorkommt), coachen wir natürlich auf eine andere Art und Weise. Im Rahmen des EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), aus dem wingwave entwickelt wurde, gibt es diesen Test zum Beispiel gar nicht. Dort werden Änderungen bezüglich der Gefühlsqualität über eine so genannte Skalenfrage ermittelt.
Ich persönlich finde den Myostatik-Test sehr praktisch, weil ich darüber die einzelnen stressenden Momente und die zugehörige Gefühlsqualität herausfinden und nach dem Coaching tatsächlich sehen kann, ob sich etwas zum Positiven hin geändert hat. Das Ergebnis ist oft sehr verblüffend. Ich frage den Coachee nach den Winkesets wieder: „Denken Sie bitte noch mal an die Klausur in Statistik 2.“ Wenn dann der Finger hält – wie mit Sekundenkleber geklebt –, dann gehe ich davon aus, dass die Situation verarbeitet ist.
Die wingwave-Methode ist punktgenau. Wenn der Finger noch nicht „hält“, prüfe ich weitere Situationen, z.B. „Denken Sie an den Moment, in dem Sie die 5 gesehen haben.“ oder „Denken Sie daran, wie ihre Kommilitonin geguckt hat, als Sie die 5 bekommen haben.“ . An dieser Stelle kann dann eine erneute Intervention durch wingwave helfen.
wingwave – Hilfe zur Selbsthilfe
Andere verwandte Erlebnisse und Situationen verarbeiten sich wiederum ganz von selbst, sobald der Prozess im limbischen System in Gang gebracht wurde. Im Grunde neigt der Mensch nämlich in allen Situationen erst einmal zur Selbsthilfe. Man kann es so beschreiben, dass durch die Winke-Sets bei wingwave eine größere Blockade gelöst wird, sodass weitere bestehende Mini-Blockaden sich von selbst lösen.
Wenn das Winken nicht hilft, was natürlich vorkommen kann, dann gibt es noch viele weitere Coaching-Methoden, die ich anwende.
Weitere Links:
Erläuterungen zum Myostatiktest: http://wingwave.com/coaching/methodenelemente/myostatiktest.html
Der Myostatiktest in Aktion: http://www.youtube.com/watch?v=ZlPBqKHspcA
Hier sieht man den Homunculus: http://en.wikipedia.org/wiki/Cortical_homunculus
Bildquelle: ©Susanne Edinger